Dragon Chronicles Band IV - A Dragon's Home


Er zitterte, als er aus der Dusche stieg. Das warme Wasser hatte lediglich dafür gesorgt, dass er den Frost des Winters abspülen konnte. Die Kälte in seinem Inneren blieb.

Elay wischte über den beschlagenen Spiegel im Bad seines Elternhauses.

Wie hatte dieser Tag nur so enden können? In einer Verfolgungsjagd gegen seinen jüngsten Bruder?!

Er verstand es einfach nicht.

Was war so schlimm daran, wen Christopher liebte?

Ihm selbst waren die sexuellen Vorlieben seiner Geschwister egal, solange sie sich um den Erhalt der Sippe kümmern würden. Was hinter verschlossenen Türen passierte, ging Elay nichts an.

Genau das hatte er schließlich auch vor wenigen Stunden zu seiner Schwester gesagt. Beth war jetzt sechzehn Jahre und damit im richtigen Alter, um verheiratet zu werden. Ihm widerstrebte diese Tradition genauso wie Chris, aber so war es seit Jahrhunderten gewesen und das hatte schließlich den Fortbestand seiner Art gesichert. Wer war er, dass er das in Frage stellen würde?

Ein Klopfen an der Tür ließ ihn beim Anziehen inne halten.

„Elay? Können wir reden?“

Die zarte Stimme seiner Schwester erklang. Beth sprach immer so leise. Vollkommen untypisch für einen Bärenwandler. Wenn sie sich nicht schnell ein dickeres Fell aneignete, im wahrsten Sinne des Wortes, würde sie in Zukunft ernsthafte Probleme bekommen.

Seufzend schloss er die Tür auf.

Sofort schlug Beth die Augen nieder. Als hätte sie ihn noch nie nackt gesehen!

„Was willst du?“, fragte er schroff.

Er verschränkte die Arme vor der Brust, während er auf ihre Antwort wartete.

„Ist es wahr?“

„Ist was wahr? Drück dich deutlicher aus, Elisabeth.“

„Chris. Hast du-“, sie schluckte und sah ihm direkt in die Augen. „Hast du ihn getötet?“

Sie versuchte, ihre Tränen zu unterdrücken, aber Elay konnte sie riechen.

„Ja.“

Betroffen taumelte sie zurück. Prallte mit dem Rücken gegen die Wand.

„Du Mörder!“, keuchte sie. Wut flackerte in ihrem Blick auf, als sie wieder näher trat.

Er sah die Ohrfeige kommen, aber er wehrte sich nicht. Das Brennen auf seiner Wange hatte er verdient. Und noch so viel mehr, wenn es nach ihm ging. Aber das durfte er Beth nicht sagen. Besser sie hielt seine Brüder für Monster und ihn für einen Mörder. So fiel ihr der Abschied in ein paar Tagen leichter.

„War sonst noch was?“, fragte er, Langeweile vortäuschend. Der Hass in ihren Augen gab ihm Recht.

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein. Nichts.“

Als sie den dunklen Flur entlang lief, sah er den braunen Lockenkopf seiner jüngsten Schwester Sofia. Sie lugte um die Ecke und sah ihn mit diesen großen Augen an. Augenscheinlich wartete sie auf Beth.

Verdammt! So hatte er sich das für sie nicht gewünscht. Sofia hätte von all dem nichts mitbekommen sollen!

Beth warf ihm einen vernichtenden Blick zu, als sie nach der Hand ihrer Schwester griff und wortlos in ihrem Zimmer verschwand.

Elay fuhr sich durch die nassen Haare und ging zurück ins Bad, um sich fertig anzuziehen.

Sein Vater war der nächste, der vor der Badezimmertür auf ihn wartete. Nur mit Mühe konnte Elay seine Wut zügeln. Es würde ihm nichts bringen, sich jetzt mit Arik anzulegen. Noch nicht jedenfalls.

„Was kann ich für dich tun, Vater?“

„Du hast das Richtige getan.“

Das bezweifelte Elay stark und deshalb hatte er es auch nicht getan. Er hatte seinen Bruder nicht getötet. Er hatte ihn schwer verwundet. Das Blut hatte überall an seinem Körper geklebt, als er wieder nach Hause gekommen war.

Es war ein Leichtes gewesen seiner Familie zu verkaufen, dass er Christopher getötet hatte.

„Danke.“ Er zögerte einen Moment. „Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“

Es war nicht ungewöhnlich, dass Elay kurz angebunden war, aber etwas in seiner Tonlage musste ihn verraten haben.

Sein Vater sah ihn misstrauisch an, bevor ein anderer Ausdruck in seine Augen trat.

„Du wirst einmal ein guter Anführer sein.“

Ja, weil Brudermord nämlich die Grundvoraussetzung für den Anführerposten war.

Elay nickte stumm und wartete, bis sein Vater ihn allein ließ. Dann erst ging er in sein Zimmer, das direkt neben dem der Mädchen lag. Gegenüber teilten sich Christopher und Lucas ein Zimmer. Hatten sich geteilt, korrigierte er sich in Gedanken.

Die Tür stand offen und sein jüngerer Bruder saß regungslos auf dem Bett. Er war nicht an der Jagd auf Christopher beteiligt gewesen. Hatte sich zurückgehalten mit der Ausrede, auf die Mädchen aufpassen zu wollen. Elay verstand ihn nur zu gut.

Kaum dass Lucas ihn sah, stand er auf und knallte ihm die Tür vor der Nase zu.

Das war deutlich.

Seine anderen Brüder waren ebenso deutlich in ihrer Meinungsäußerung. Aber eher in die andere Richtung. Sie schienen froh zu sein, dass Christopher nicht mehr am Leben war. Hatten sie ihren Bruder denn so sehr gehasst? Oder lag es nur an den Erzählungen von Nathan, dass Chris schwul sei?

Sie hatten Chris schon immer für verweichlicht gehalten, weil er so viel Zeit mit den Mädchen verbrachte. Hatten sie also schon immer eine Abneigung – er unterbrach sich in Gedanken. All diese Grübelei brachte ihn nicht weiter.

Er musste etwas unternehmen. Sein Vater durfte nicht noch eine Generation Bärenwandler vernichten.

Elay wusste, dass die Zeit gekommen war, sich von seinem Vater zu verabschieden.

 

Endgültig.