Rosa Post-it Band 1 - Einsame Wut


    Blair hielt sich nicht an Geschwindigkeitsbegrenzungen und hatte somit einen Großteil der Strecke in etwas über drei Stunden geschafft. Viel schneller, als ihr die Dame vom Navigationsgerät vorhergesagt hatte. Ha, eins zu null für sie.

    Aber genug war genug. Sie war erledigt und brauchte dringend etwas zu trinken. Auf dem Beifahrersitz stapelten sich bereits die leeren Wasserflaschen. Bis zum Hotel waren es nur noch etwa fünfzig Meilen, aber sie würde nicht auch nur noch eine Minute länger fahren!

    Sie nahm die nächste Ausfahrt und hielt an einer Tankstelle. Während sie tankte, spürte sie die Hitze, die ihr im klimatisierten Wagen nicht aufgefallen war. Sie streckte sich ausgiebig. Ihr tat alles weh. Das nächste Mal würde sie definitiv fliegen; egal ob sie dann zu spät kommen würde!

    Das Innere der Tankstelle war klein und schäbig. Während sie nach einer Flasche Wasser griff, beobachtete sie der bärtige Tankwart aufmerksam, was er wahrscheinlich auch während ihrer Dehnübungen getan hatte.

    Die Bluse klebte an ihrem Körper wie eine zweite Haut und der enge Bleistiftrock war auch nicht hilfreich, seinen starrenden Blicken zu entkommen. Aber sie war heute Morgen direkt aus dem Büro zum Flughafen gerast und hatte noch keine Gelegenheit gefunden, sich umzuziehen. 

    Ohne auf seine Blicke zu reagieren, bezahlte sie Benzin und Wasser, als ihr Handy klingelte. Mit einem leisen Fluch nahm sie das Telefon aus der Handtasche und verstaute gleichzeitig das Wechselgeld. 

    „Ja, bitte?“

    „Miss Monroe, hier spricht Nadine.“

    Nadine Summers war die junge Sekretärin in der Anwaltskanzlei, in der Blair arbeitete.

    „Nadine, was gibt es? Ich habe wirklich gerade keine Zeit.“ Sie nickte dem Mann an der Kasse zum Abschied zu und verließ den kleinen Laden.

    „Es tut mir wirklich leid, Sie zu stören, aber Mr. Morrison möchte Sie sprechen.“

    Blair seufzte. „In Ordnung. Gib ihn mir.“ 

    Sie hörte ein kurzes Wortgefecht am anderen Ende der Leitung, dann erklang die aufgebrachte Stimme ihres Partners Maik Morrison.

    „Miss Monroe.“

    Es war immer ein schlechtes Zeichen, wenn er sie bei ihrem Nachnamen nannte. 

    „Maik, schön Sie zu hören“, sagte sie höflich und verdrehte genervt die Augen.

    Sie klemmte sich das Handy zwischen Ohr und Schulter und öffnete die Flasche, während Morrison mit ihr streiten wollte. Blair kannte ihn so hysterisch nicht, aber davon ließ sie sich auch nicht beeindrucken.     Sie trank in großen Schlucken.

    „Monroe, hören Sie mir überhaupt zu?“

    „Aber natürlich, Maik." Sie wischte sich einen Tropfen Wasser vom Kinn, der nur dort war, weil sie die Flasche zu stürmisch abgesetzt hatte. 

    „Die Akte liegt bei mir zu Hause auf dem Schreibtisch. Wenn Sie wollen, werde ich Nadine sofort losschicken, damit sie Ihnen die Unterlagen bringt.“

    Der ältere Anwalt schnaubte, beruhigte sich aber offenbar wieder. 

    „Tun Sie das, Kindchen.“

    Ah, da war es wieder! Kindchen. So nannte er sie sonst immer. Ein sicheres Zeichen dafür, dass die Krise vorbei war. Wieder gab es Gerangel am anderen Ende, dann war Nadine zu hören. 

    „Kein Problem, Miss Monroe. Ich werde mich sofort darum kümmern.“ Nadine seufzte erleichtert und Blair begriff; Morrison war noch in Hörweite gewesen. 

    „Also, wie läuft's bei dir?“, fragte ihre Sekretärin dann beinah euphorisch.

    Blair musste lachen und verschluckte sich fast an dem letzten Schluck Wasser. „Es ist heiß.“ 

    „Das ist mir klar. Ich meinte, wie sind die Kerle? Ist der Trauzeuge auch so heiß wie das Wetter?“ 

    Nadine war eine Frau fürs Einfache. Hauptsache die Männer sahen gut aus und waren im Bett zu gebrauchen. Dass Blairs beste Freundin in zwei Tagen heiraten würde, war vollkommen nebensächlich.

    „Ich habe keine Ahnung, wie der Trauzeuge aussieht“, meinte Blair. Das war nicht mal gelogen.

    Sie hatte Ian seit etlichen Jahren nicht mehr gesehen. Als er der Navy beigetreten war, hatte sie ihn vielleicht noch ein oder zweimal getroffen. Aber wenn sie später mal die Zeit fand, Serena in Coronado zu besuchen, war Ian immer irgendwo im Einsatz gewesen. 

    „Oh, du musst mir unbedingt ein Foto schicken!“, unterbrach Nadine ihre Gedankenwelt.

    „Weil wir gerade bei Dingen sind, die unbedingt gemacht werden müssen“, unterbrach Blair sie, bevor Nadine richtig in Fahrt kommen konnte. „Du musst Morrison die Langston Akte bringen, sofort. Die liegt bei mir zu Hause auf dem Schreibtisch.“

    Obwohl Nadine erst seit ein paar Monaten für sie arbeitete, vertraute Blair ihr. Die Fünfundzwanzigjährige hatte einen Schlüssel für ihre Wohnung bekommen, damit sie sich während Blairs Abwesenheit um die Blumen und die Post kümmern konnte. Ihren Hund Shadow hatte Blair bei Nadines Onkel und dessen Frau abgegeben, die außerhalb von San Francisco ein Haus mit Grundstück besaßen. Sie liebten Shadow und kümmerten sich um ihn, wenn Blair den ganzen Tag im Gericht oder auf Geschäftsreise war. Und das Wichtigste: Shadow liebte die Beiden auch. Der einjährige Rüde war immer ganz aufgeregt, sobald er mitbekam, dass Blair die Stadt verließ und auf das weitläufige Grundstück der Bowers zusteuerte.

    Blair hörte Nadine seufzen und dann, wie sie auf der Tastatur vom Computer etwas tippte. 

    „Also gut“, sagte sie dann. „Aber du schuldest mir etwas.“

    „Ich bezahle dich, reicht das nicht?“, lachte Blair und betrachtete die nunmehr leere Wasserflasche in ihrer Hand. Suchend sah sie sich nach einem Papierkorb um. Natürlich am anderen Ende der dummen Tankstellenanlage.

    Sie beendete das Gespräch mit Nadine und hatte erst zwei Schritte gemacht, als ein großer Jeep mit quietschenden Reifen auf den Parkplatz fuhr. 

    Das Ungetüm kam nur haarscharf vor ihr zum Stehen. 

    Grölend und lachend stiegen vier Soldaten in Trainingsanzügen aus. Dreckig und erschöpft, als wären sie von einem besonders ergiebigen Schlammlauf wiedergekommen. Ihre Uniformen konnten wahrscheinlich von alleine stehen, und laufen. Als Letzter stieg ein erstaunlich sauberer Soldat vom Fahrersitz. 

    „Beherrscht euch!“, brüllte er den vier Chaoten zu, die sofort Haltung annahmen und schwiegen. Okay, der Fahrer in der sauberen und beeindruckend schnittigen Uniform hatte ganz eindeutig das Sagen. 

    „Bitte entschuldigen Sie vielmals, Miss.“

    Er salutierte vor ihr, bevor sie die Gelegenheit hatte, ihn wegen seines Tempos anzuschreien. Dann nahm er seine Sonnenbrille ab und grinste. Ihr Ärger verrauchte beinahe sofort. 

    Es war Ian. Seines Zeichens Trauzeuge vom Bräutigam und außerdem Bruder der Braut. Seine schwarzen Haare waren länger, nicht mehr so kurz geschoren wie auf den Fotos, die sie von ihm hatte. In seinen Augen spiegelte sich eine Härte wieder, die früher nicht da gewesen war. Vielleicht bildete sie sich Letzteres auch nur ein, denn schon blitzen seine Augen erwartungsvoll auf.

    Sie wollte gerade auf ihn zu gehen, um ihn nach all den Jahren zu umarmen, als er ihr die Hand entgegenstreckte. Ian erkannte sie nicht.

    „Commander Ian Sawyer, sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

    „Nun, das kann ich nicht behaupten, Commander.“

    Verblüfft ließ Ian seine Hand wieder fallen. Seine Kameraden blieben erschrocken stehen, als hätten sie noch nie erlebt, dass jemand in diesem Ton mit ihrem Vorgesetzten sprach.

    „Sie haben eindeutig die vorgeschriebene Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten und niemand von Ihnen war angeschnallt.“ Blair deutete auf die vier Soldaten, die jetzt richtig kleinlaut wirkten. „Von der unsachgemäßen Trageweise der Uniform will ich gar nicht erst anfangen und die Manieren ihrer Truppe sind eine Zumutung für jeden Menschen in ihrer Nähe.“

    Oh, sein Blick war Gold wert.

    Sie hatte Mühe, sich das Grinsen zu verkneifen und ihre Anwaltsmiene aufzusetzen. Im Gericht sprach man immer davon, dass ihr kalter Blick selbst gestandene Männer erzittern ließ.

    „Ich bitte vielmals um Entschuldigung.“

    Ian deutete eine kleine Verbeugung an. Als er sich wieder aufrichtete, war der Schalk in seine Augen zurückgekehrt.

    „Dürfte ich Sie vielleicht zum Essen einladen, als Entschädigung?“

    Blair gab vor, darüber nachzudenken. 

    „Tut mir leid, ich fürchte, das kollidiert mit meinen Plänen.“

    „Sie wissen doch aber noch überhaupt nicht, welchen Abend ich vorschlagen wollte.“

    Blair atmete tief durch. 

    „Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Commander. Wenn Sie mich heute Abend immer noch zum Essen einladen wollen, werde ich nicht nein sagen.“