Seven Devils


     „Was zur Hölle war das?“ Kat schlang die Arme um ihren Körper, um niemanden, besonders aber ihrem Vater, zu zeigen, wie sehr sie zitterte. 

     Sebastien war wie üblich die Ruhe in Person und würde es nicht gutheißen, wenn sie sich jetzt gehen ließ. Also schluckte sie die Angst runter und wandte sich dem Geschehen zu. Dabei ignorierte sie Julien.

     Natürlich hatte sie ihn erkannt! Er war deutlich muskulöser geworden, seine Gesichtszüge markanter und irgendwie kälter. Als hätte er in seinem Leben schon zu viel Leid gesehen und erlebt. Andererseits lebten sie in einer Gesellschaft die von Mord, Drogen und anderen Verbrechen regiert wurde. Und Sebastien DeLuca war ihr König.

     „Geht es Ihnen gut?“

     Wieder sprach Julien so formell mit ihr, dass sie schreien wollte. Aber die Sorge in seiner Stimme bildete sie sich nicht ein, oder?

     „Natürlich geht es mir gut“, log sie. Aber das musste ja niemand erfahren.

     Sie winkte ab. Vermied seinen Blick. 

     Julien hielt sich plötzlich einen Finger ans Ohr und erst jetzt bemerkte Kat das winzige Headset, das ihn mit den anderen Mitarbeitern auf dem Anwesen verband. Sie hatte diese kleinen Geräte bei den Leuten hier schon oft gesehen. Mit den Jahren wurden sie kleiner und unauffälliger und vermutlich wäre ihr der Knopf in Juliens Ohr nicht mal aufgefallen, wenn sie nicht jahrelang darauf trainiert worden wäre, alles in ihrer Umgebung zu bemerken.

     „Sie haben den Attentäter geschnappt, Sir.“ Natürlich sprach Julien mit ihrem Vater. „Er ist verletzt.“

     Ein schneller Blickwechsel mit dem Doktor, dann nickte Sebastien. 

     Der Koloss von Mann, der ihren Vater gerade noch geschützt hatte, war schon seit Jahren dessen Leibwächter. Katherina kannte ihn seit ihrer Kindheit. Er hatte sie manchmal auf den Spielplatz begleitet, den Kats Mutter hinter dem Haus hatte errichten lassen. Jetzt wechselte der Mann vollkommen in den Killermodus und obwohl Kat das bereits gewöhnt war, fror sie nur noch mehr.

     „Jack, begleite Dr. Pence nach unten. Sehen Sie zu, dass der Typ nicht verblutet. Und dann will ich Antworten.“

     Kat fröstelte. Denn unten war nicht nur die Umschreibung für den Keller des Anwesens. Es war Sebastiens persönlicher Folterhimmel. Nicht umsonst nannte man ihn den Schlächter. Und er war stolz darauf. In den hiesigen Mafiakreisen brachte es ihnen Respekt und Demut ein. Vor allem aber Angst.

Sebastien zog sein Jackett aus, legte es ordentlich über die Stuhllehne und krempelte sich bereits die Ärmel hoch. Dann erst schien ihm einzufallen, dass seine Tochter noch hier stand.

     „Lasst uns allein“, wies er die Leibwächter an.

     Sie bezogen Position vor der Tür und auf der Terrasse. Selbst Julien verließ das Büro.

     „Du erinnerst dich doch bestimmt an deinen Freund aus der Kindheit? Julien?“

     Mit einer ausholenden Geste deutete er auf den jungen Mann, der ihnen den Rücken zugewandt hatte und auf den Garten hinausblickte.

     Sie drehte nervös an dem breiten Silberring. Eine alte Angewohnheit, die sich nicht abstellen ließ.

     „Selbstverständlich.“ Katherina nickte.

     Wie sollte sie auch jemanden vergessen, der jahrelang mit ihr unter einem Dach gelebt hatte?

     Wie sollte sie den Jungen vergessen, der kaum bessere Tischmanieren besessen hatte, als der streunende Hund, den sie ohne das Wissen ihres Vaters immer gefüttert hatte? Der Junge, der sich jede Nacht unerlaubt in seinem Zimmer eingeschlossen hatte oder Essen aus der Küche stahl?

     wie sollte sie den Mann vergessen, der sie entjungfert hatte, als sie achtzehn war und noch in der gleichen Nacht abgehauen war? 

     Aber es war Ewigkeiten her, dass ihr Vater von ihm gesprochen hatte. Sie hatte geglaubt, dass Sebastien ihn längst vergessen hatte.

     „Ich habe ihn gebeten zurückzukommen.“

     „Du – was?“ In ihrem Kopf drehten sich die Ereignisse, aber Sebastien seufzte nur genervt.

     „Natürlich. Ich habe schließlich für seine Ausbildung im Ausland bezahlt. Es wird Zeit, dass er hier seine Aufgabe erfüllt.“

     Sie hatte verdammt viele Fragen, wusste aber auch, dass ihrem Vater sehr schnell die Geduld ausging und er sich unter gar keinen Umständen jemals erklärte! Aber – Julien war nicht abgehauen? Er wurde weggeschickt?! Wieso hatte er sich dann nie bei ihr gemeldet? Dann fiel ihr etwas ein.

     „Moment, was hast du gesagt? Welche Aufgabe?“

     „Er wird dein neuer Sicherheitschef.“

     „Ich habe einen Sicherheitschef, Vater. Mein Club ist bei Victor in guten Händen.“

     Zumindest in fähigen Händen. Ob Victors Hände gut waren, darüber ließ sich sicherlich streiten.

     Victor war ein Krimineller, ein Mörder. Aber das war in ihrer Welt nichts Neues. Nicht, wenn man die Tochter des hiesigen Mafiabosses war.

     Und Victor stellte seine Dienste seit einigen Jahren einzig Katherina DeLuca zur Verfügung. 

     „Victor ist in der Tat ein guter Mann, daran zweifle ich nicht.“ Er grinste diabolisch. „Nun, gut in unserem Sinne“, verbesserte er sich. Sein Ton ließ sie aufhorchen. Schließlich war er es gewesen, der Victor eingestellt hatte. „Aber ich meinte nicht den Club.“

     „Wenn du nicht den Club – oh nein! Nein!“, rief sie, als sie begriff, wovon ihr Vater sprach. „Ich will keinen Bodyguard!“

     „Katherina ...“

     „Nein! Ich meine das vollkommen ernst! Wir hatten diese Diskussion jetzt wie oft?!“

     „Zu oft!“, rief Sebastien aus. „Und ich bin es leid! Ich lasse nicht mehr mit mir verhandeln! Das ist mein letztes Wort!“

     Sein letztes Wort? Vollkommen geschockt starrte sie die Tür an, durch die ihr Vater eben verschwand – auf dem Weg in seinen persönlichen Folterkeller.

     Oh, ganz sicher war es nicht ihr letztes Wort!

     Zugegeben, der eben erfolgte Anschlag auf das streng gesicherte Anwesen schien kein gutes Argument, um ihn davon zu überzeugen, dass sie keinen persönlichen Leibwächter brauchte. Und der kleine Zwischenfall von letzter Nacht war sicherlich ebenfalls nicht hilfreich.